Vor langer, langer Zeit, bevor Facebook noch ein Funkeln in Mark Zuckerberg’s Augen war und nur die Vögel zwitscherten, da musste man seine Meinung noch selber hosten, bevor sie in die Weiten des Internets verbreitet werden konnte. Und wenn man die Meinung anderer lesen1 wollte, musste man seinen Browser öffnen, die URL eingeben, und nachsehen, ob es denn was neues zu lesen gab. Eine anstrengende und zeitaufwändige Sache.

Netscape wollte die Faulheit seiner UserInnen unterstützen und veröffentlichte daher 1999 die erste Version von RSS, das damals noch für “RDF Site Summary”2 stand. Es gab vor, wie eine spezielle Datei, welche von Webseiten bereit gestellt werden konnte, aussehen musste, damit ein sogenannter Feed Reader automatisch neue Inhalte der Webseite erkennen konnte.

Diese Feed Reader konnten entweder Teil des Browsers sein oder ein eigenständiges Programm, welches die Inhalte gleich für den Benutzer schön zum Lesen aufbereiten oder auch gleich für später abspeichern konnte3. Für die damaligen SurferInnen hatte es vor allem einen Vorteil: Der Computer nahm ihnen die Arbeit ab, und man musste nicht jeden Tag Minuten damit zubringen, sich durch seine Bookmarks durchzuklicken.

Mit der Zeit wurden neue Versionen von RSS veröffentlicht, die Abkürzung wurde in “Rich Site Summary” umgetauft, ein konkurrierender Standard namens Atom entstand (man kann nie genug Standards haben, wenn Computer involviert sind), und die kleine, aber stetig wachsende BloggerInnen-Schar konnte dank breiter Unterstützung einfach ihren LeserInnen Updates über eines der Formate bereit stellen.

Problem Discoverability

Das quasi-offizielle Feed-Icon (von Stephen Horlander, Quelle: Wikipedia)

Aber: Wer nicht wusste, was RSS bzw. Atom eigentlich ist, was überhaupt ein Feed Reader ist und wo man sowas eigentlich bekommt, der hatte wenig Grund sich die Arbeit zu machen, ob es eigentlich einen besseren Weg gibt, sich durch eine Liste an Bookmarks zu klicken, oder was dieses (durchaus bekannten) Feed-Icon eigentlich bedeutet.

Und das, obwohl mittlerweile alle modernen Browser mit Feeds umgehen können. Aber oft ist diese Implementierung sehr einfach, und bietet wenig Vorteile gegenüber der Bookmark-Liste und ist oft eher versteckt und schlecht erklärt.

Erst die Verwendung eines dedizierten Feed Readers ermöglicht es, alle Vorteile des Feed-Formats auszunutzen — aber hier wieder das gleiche Problem: wie soll einE UserIn nach einem geeigneten Feed-Reader Programm suchen ohne zu wissen, dass es überhaupt eine Lösung für das Problem gibt?

Problem „Kein Problem“

Was uns zum zweiten Problem bringt: Die wenigsten Leute besuchen eine große Anzahl an verschiedenen Seiten. Die am meisten besuchten Seiten bieten bei jedem Besuch was neues zum Lesen (man denke da an Tageszeitungen), wodurch ein Feed Reader keinen Mehrwert bieten kann.

Nur die LeserInnen, die sich für Inhalte von (vergleichsweise) selten geupdateten Seiten interessieren, werden dieses Problem auch als solches empfinden, und damit auch erst motiviert sein, sich mit einer Lösung dafür zu beschäftigen.

Problem Werbung

Für große Seiten hat das Feed-Format noch einen ganz anderen, nämlich finanziellen Nachteil. Werbung kann oft nur schwer verlässlich im Feed Reader angezeigt werden, und das Tracken von Clicks und anderen Aktionen ist schwierig und oft einfach unmöglich. Daher sind große Seiten oft wenig motiviert, einen Feed mit den kompletten Text zur Verfügung zu stellen, und bieten nur einen kurzen Teaser an, wodurch sich der Nutzen eines Feed Readers rein auf das Wissen eines Updates einer Seite beschränkt.

Problem Google

Google hatte für all das eigentlich schon eine Lösung: Google Reader. Dieses Produkt war gut integriert, konnte mit jedem Browser verwendet werden4, bot einen leicht erklärbaren Mehrwert an, und Google hatte keine Probleme, bei dem ganzen Werbung anzuzeigen, bzw. den Feeds das Tracken zu ermöglichen.

Aber: 2013 wurde Google Reader einfach dicht gemacht. Googles Begründung war die fallende Anzahl an UserInnen, tatsächlich wollte man vermutlich die NutzerInnen zu Google+ treiben.

Problem Twitter & Facebook

Denn: Twitter und Facebook leben davon, dass ihre UserInnen nicht nur viel Zeit auf ihnen verbringen, sondern auch mit Inhalten befüllen. Sie machten dadurch nicht nur (gratis!) die Arbeit, die bei einem klassischen Portal einE RedakteurIn erledigt hätte, sondern es war auch ein einfacher Weg, die UserInnen an das Netzwerk zu binden.

Dazu ergab sich aus den neu aufgekommenen Smartphones noch ein weiterer Trend: Der zu weniger Text, und mehr Multimedia. Das Tippen von längeren Texten auf einem kleinen Bildschirm war umständlich und den wenigsten den Aufwand wert, aber ein Foto, gepaart mit einer kurzen Nachricht, konnte schnell, einfach, und dank des Smartphones auch sofort gepostet werden. Vor allem Twitter konnte diesen frühen Trend nicht nur ausnutzen, sondern definierte sich sogar dadurch.

Einen Blog zu betreiben wirkt da im Vergleich schnell aufwändig, und dadurch sind viele Blogs, vor allem kleinere, einfach eingeschlafen, und dem Verfall überlassen worden.

Dank des Aufstiegs von Facebook passierte noch etwas anderes: Facebook selbst wurde quasi zum Feed Reader, jetzt erst recht musste man als UserIn nur noch auf eine Seite gehen, wo man so ziemlich alles zu lesen bekommt, was man sehen wollte.

Für die Feed Reader war der so zentralisierte Update-Feed der Sozialen Netzwerke gepaart mit einem Blog-Sterben der Grund, weshalb sie nur mehr eine Nischen-Anwendung für Power UserInnen sind.

Die Zukunft?

Als user-facing Technologie wird RSS bzw. Atom nur noch als Nischentechnologie verwendet, dort, wo kleine Blogs noch eine Rolle spielen, und die Sozialen Netzwerke wenig Interesse haben, ihnen Konkurrenz zu machen.

Aber daneben gibt es aber noch einen Bereich, wo RSS und Atom in Zukunft weiterhin eine wichtige Rolle spielen könnten: dort wo ein Platform-unabhängigen Informationsaustausch notwendig ist.

Als Beispiel dienen Podcasts, und die dazugehörigen Apps, die nichts anderes als auf Audio-Formate spezialisierte Feed Reader sind. Hier existiert kein zentralisiertes Netzwerk, wo Podcasts gehostet & gehört werden müssen5, sondern eine Vielfalt an Wegen, wie Podcasts produziert und konsumiert werden können – nur das Datei-Format zum Bereitstellen neuer Inhalte ist mit RSS bzw. Atom immer das gleiche. In so einer Rolle kann sowohl RSS als auch Atom weiterhin eine blühende Zukunft haben.

 

Markus lebt seit über 10 Jahren im Internet. Als Iron Squid berät er Unternehmen und programmiert Custom E-Commerce Apps. Als Webmaster von MOKS bekommt er oft „Markuuuus, das funktioniert nicht“ zu hören. Seit kurzem teilt er die vielen interessanten Links, die ihm sein Feed Reader ausspuckt, nicht mehr nur mit uns, sondern auch in seinem wöchentlichen Newsletter

 

  1. Von Audio oder gar Video traute man sich zu dieser Zeit kaum zu träumen. ↩︎
  2. RDF wiederrum steht für “Resource Description Framework”. Programmierer mögen Akronyme. ↩︎
  3. Früher war das Internet noch nicht so allgegenwärtig wie heute, und „always online“ war nur ein Traum von ein paar wenigen Utopisten, daher war Offline-Fähigkeit deutlich wichtiger. ↩︎
  4. Dritt-Apps ermöglichten auch die Verwendung ausserhalb des Browsers. ↩︎
  5. Hier wird der/die geneigte LeserIn vielleicht einwerfen, dass ein Podcast in iTunes bzw. Apple Podcasts fast gelistet sein muss, um gefunden werden zu können. Ist damit iTunes nicht genau so wie Facebook? Aber es gibt einen grossen Unterschied zwischen Facebook und iTunes in Bezug auf Podcasts: iTunes ist nur ein Verzeichnes, dessen primäre Aufgabe es ist, den Hörern das Finden von Podcasts zu erleichtern. Sobald man einen Podcast abonniert, ist iTunes nicht mehr involviert, und das Podcast-Programm der Wahl holt sich die neuen Folgen, per RSS oder Atom-Feed, direkt vom Produzenten ab. ↩︎