Ab dem Schuljahr 2022/2023 gibt es in Österreich das Pflichtfach „Digitale Grundbildung“. Reicht ein Sommerkurs und praktisches Anwendungswissen, um dieses Fach unterrichten zu können?

Die Ziele sind laut Lehrplan sind wie folgt beschrieben:

„Ziele der Digitalen Grundbildung sind die Förderung von Medienkompetenz, Anwendungskompetenzen und informatischen Kompetenzen, um Orientierung und mündiges Handeln im 21. Jahrhundert zu ermöglichen.“

Fein! Ja! Bitte! Endlich!

Jeder unserer Vorträge und Schulungen beginnt mit den Worten „Wir wollen euch nicht Social Media fit machen, sondern wir wollen euch medienkompetent machen.“ denn genau darum geht es. Wissen zu vermitteln, dass flexibel und vor allem in einem Bereich, der sich ständig verändert, angewandt werden kann. Wissen, das es erlaubt, sich kritisch und selbstbewusst mit einem Thema auseinanderzusetzen. Wissen, das hilft, Probleme zu lösen.

Nun gab es beim Unterrichtsmaterial, das eingesetzt werden soll, bereits Kritik. Martin Leyrer hat sich das Buch „vernetzt“ angesehen und die Fehler beschrieben. Das Buch soll nun überarbeitet und korrigiert werden.*

Was uns gut gefällt, ist das SchuBu, ein interaktives Schulbuch für digitale Grundbildung.

SchuBu: Das interaktive Schulbuch / Screenshot: schubu.at

Wer unterrichtet Digitale Grundbildung?

Uns beschäftigt vor allem auch die Frage, wer dieses neue Fach unterrichten wird, da wir seit Jahren auf die Vermittlung von Medienkompetenz pochen und auch das Unterrichten, Lehren und Bilden in unserer Tätigkeit im Fokus haben.

Unterricht Media Bootcamp / Foto: MOKS

Dazu ist laut Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung folgendes geplant:

  • Das neue Pflichtfach sollen jene Lehrkräfte übernehmen, die bisher die verbindliche Übung unterrichtet haben.
  • Im Herbst startet dann ein Hochschullehrgang im Ausmaß von 30 ECTS für bereits im Dienst stehendes Lehrpersonal.
  • Zudem werden 150 neue Planstellen eingerichtet, um den Bedarf zu decken.
  • Außerdem „gibt es im Sommer einen zweiwöchigen Online-Fortbildungskurs an pädagogischen Hochschulen, der individuell und ortsunabhängig absolviert werden kann“. (Quelle)
  • Ab 2023/24 ist zudem ein eigenes Lehramtsstudium geplant.

Aufmerksamen Lesenden ist bestimmt aufgefallen, dass sowohl der Lehrgang als auch das Lehramtsstudium erst startet, wenn das neue Fach bereits unterrichtet werden soll.

Zusammengefasst wird vom Ministerium: „Durch die Einführung der Verbindlichen Übung Digitale Grundbildung nebst bereits erfolgter Unterstützungsmaßnahmen im Bereich der Fort- und Weiterbildung kann davon ausgegangen werden, dass ausreichend qualifizierte Lehrpersonen an den Schulen vorhanden sind. Mittels eines Massive Open Online Course, der von den Teilnehmer/inne/n individuell und selbstgesteuert absolviert werden kann, ist es Lehrenden möglich, sich auf den neuen Lehrplan des Pflichtgegenstandes vorzubereiten.“

Das klingt, als wären die Lehrkräfte hier sehr auf sich selbst gestellt.

Und ganz genau hier beginnt auch eine Problematik, auf die wir in unserem Arbeitsalltag immer wieder treffen. Natürlich wird es sehr gutes und kompetentes Lehrpersonal für dieses Unterrichtsfach geben, aber es schwingt mit, dass man dafür ohnehin nicht viel bräuchte und man vorhandenes Wissen mit einem Sommerkurs einfach auffrischen kann. Das Bild, dass „heutzutage eh alle Internet können“.

Richtig ist: Plattformen, Medien und Kommunikationsformen werden immer intuitiver und sind für viele Menschen zugänglich. Mit der passenden Infrastruktur kann man relativ schnell und einfach aktiv werden.

Aber: Reines Anwendungswissen ist ein guter Anfang, kann aber nicht der Anspruch sein für zeitgemäße digitale Grundbildung.

Fehlender Professionsanspruch

Früher war die Trennung zwischen privater Kommunikation und Massenkommunikation eindeutig getrennt. Wer mit Massenmedien arbeiten wollte, brauchte eine entsprechende Ausbildung. Mit dem Web 2.0  verschwand diese Trennung mehr und mehr. Jeder private TikTok Kanal kann zum Massenmedium werden. Das nimmt diesen Plattformen, Medien und Kommunikationsformen aber den Status einer Tätigkeit, die man sich erlernen muss und eines Bereiches, zu dem es Fachwissen neben dem reinen Anwendungswissen gibt. Was einerseits gut und sinnvoll ist im Sinne der Vernetzung, der Überbrückung von Hürden und des Abbauens von Hierarchien, ist andererseits problematisch, wenn es um Datenschutz, Mobbing, Phishing, Betrug, usw. geht.

Ja, den Knopf, um ein Reel auf Instagram zu erstellen, finde ich mit etwas Geduld und Herumprobieren. Das Wissen, wem diese Plattform gehört, welche Interessen dahinter stehen, wo meine Daten hinterlegt sind, wie ich falsche und gefährliche Informationen identifizieren und was ich bei Problemen tun kann, muss mir jemand beibringen. Jemand, der sich in diesem Bereich breites Fachwissen und Kompetenz angeeignet hat.

Mit etwas Erde, Samen und Wasser kann ich selbst Tomaten anpflanzen, aber noch lange nicht Biologie unterrichten. Wir brauchen Expert:innen.

*Anmerkung: Wir betreuen den Schulbuchverlag Westermann Österreich. Unsere geäußerte Meinung steht in keinerlei Verbindung dazu.

Links

Lehrplan Pflichtfach „Digitale Grundbildung“
Die wichtigsten Informationen zum neuen Pflichtfach
Kritik an Schulbuch „vernetzt“
Übungssammlung für Lehrende von saferinternet.at